Welche Geschichten verbinde ich mit meinem Namen?
Weiter sprach Gott zu Abraham: Du sollst deine Frau nicht mehr Sarai nennen: Sara, Herrin soll ihr Name sein.
Gen 17,15
Nach der Geburt unserer Tochter wählten meine Frau und ich nach einiger Überlegung den Namen Sarah. Als die Schwiegermutter das hörte, war sie beunruhigt und gab zu bedenken, ob wir uns bewusst seien, welches Schicksal in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft den Trägerinnen dieses Namens beschieden gewesen sei. Und man wisse ja nie, ob solche Zeiten nicht wieder kommen könnten. Doch wir blieben bei unserer Entscheidung. Und jetzt bat ich unsere Tochter, die in einem Gymnasium Musik unterrichtet, einige Erlebnisse mit diesem Namen schriftlich festzuhalten.
„Mit etwa neun Jahren bekam ich eine Namenstagskarte, dank der ich das erste Mal die Übersetzung für Sarah – Herrin, Fürstin – bewusst wahrgenommen habe. Der Klang meines Namens hatte mir schon immer gefallen; die Bedeutung erst recht, weil sie mich im ersten Impuls ein kleines Stück aufrechter machte. Was für mich allerdings negativ klingt, ist das Hierarchische, das Herrschen; da gibt es eine Spannung zum positiv zu sehenden Führen, Leiten. Eine Fürstin ist zunächst eine Person, die meist durch Geburt und ohne ihr besonderes Zutun mit Privilegien ausgestattet wurde, aus denen sich auch ein Machtanspruch gegenüber anderen, in dieser Rangfolge schlechter gestellten Personen ergibt. Wo ein Machtanspruch ist, ist oft der Machtmissbrauch nicht weit. Andererseits ermöglichen diese Privilegien auch einen großen Handlungsspielraum, der mit sinnvollem und bereicherndem Tun gefüllt werden und anderen Türen öffnen kann. Eine Fürstin verbinde ich auch mit Selbstbewusstsein, Durchsetzungskraft und Stolz. Durch meinen Einsatz schon in der Jugend als Flötenlehrerin und Babysitterin und später vor allem in meinem Beruf als Lehrerin habe ich dieses Spannungsfeld schon früh bewusst wahrgenommen. Ich sehe es als eine der Hauptaufgaben von Pädagog/innen, in dieser durch die Rahmenbedingungen meist mächtigen Position eine Balance zwischen notwendiger Führung und Schaffung von Freiräumen und Begleitung auf Augenhöhe zu finden. Wenn das gelingt, entstehen die schönsten Momente in diesem Beruf.
Die Bedenken meiner Großmutter bezüglich meines Namens habe ich in meiner Kindheit eher im familiären Rahmen wahrgenommen und ihnen nicht allzu viel Bedeutung beigemessen. Im Geschichtsunterricht setzte ich mich dann mit dieser Thematik zunehmend auseinander. Angesichts des aktuellen politischen und gesellschaftlichen Wandels denke ich wieder öfter an die mahnenden Worte meiner Großmutter und verstehe ihre Sorgen um mich und meine Zukunft.
Sarai wird durch den Bund mit Gott aufgewertet. Sie wird zur Sarah, zur Herrin dieses Bundes. Denn durch sie wird die Zugehörigkeit zum Stamm und zum Volk gewährleistet.
Der Name Sarah ist für mich ein schöner Auftrag, aufrecht durchs Leben zu gehen, den Menschen durch meine Privilegien den Weg zu erleichtern und meine Rolle als Lehrerin und verantwortliche Führerin menschenfreundlich umzusetzen. Und ich freue mich, dass sich meine Eltern trotz der Mahnung der Großmutter für diesen Namen entschieden haben.“
Welche Geschichten verbinde ich mit meinem Namen?