Wenn du ein Essen gibst: Was willst du deinen Gästen damit sagen und geben?
Dann nahm Abraham Butter, Milch und das Kalb, das er hatte zubereiten lassen, und setzte es ihnen vor. Er selbst wartete ihnen unter dem Baum auf, während sie aßen.
Gen 18,8
Je näher wir dem Haus von Anca kamen, desto mulmiger wurde mir zumute. Die Familie kam einfach nicht aus dem Elend heraus. Anca mit ihren zahlreichen Kindern, den eigenen und den Enkeln, mit den zwei Männern, Brüder, die sich Anca gemeinsam zur Frau genommen hatten. Der Hof, der immer voll war mit Müll, Wäschebergen, dazwischen Schafe, Ziegen und Hunde. Das Haus eine Ruine, eingetretene Türen, im Zimmer pickten die Hühner die Kartoffelschalen vom Boden auf.
Heute ging ich zu Anca, weil ich gehört hatte, dass Ovidiu gestorben war, ihr achtzehnjähriger Sohn. Als kleiner Bub hatte er in unserer Gemeinschaft gelebt und hatte die Schule besucht. Doch dann ging er wieder zurück zur Familie. Er wollte mit seinem Pferdchen bei den Bauern mitarbeiten und Geld verdienen. Nun hatte es das kranke Herz des Buben nicht mehr geschafft, am Morgen war er tot umgefallen.
Als ich in den Hof kam, traute ich meinen Augen nicht. Alles war aufgeräumt und gekehrt. Familie und Freunde standen herum, sie grüßten mit einem schlichten Nicken, denn Händeschütteln ist in der Zeit der Trauer hier nicht üblich. Im Zimmer lag der aufgebahrte Ovidiu, daneben saß der verzweifelte Vater. Viele Kerzen waren angezündet. Schweigend standen wir vor dem toten Jungen. Erinnerungen bewegten mein Herz. Immer wieder schluchzte jemand. Wir beteten gemeinsam ein Vaterunser. Roma-Frauen aus dem ganzen Dorf kamen und brachten den Trauernden Kuchen, Saft und Schnaps. Manche schütteten einen Schluck auf den Toten, um ihm etwas auf die Reise mitzugeben. Als ich hinausging, saßen die Leute an Bierbänken, die sie für diese Tage besorgt und aufgestellt hatten. Schwarzgekleidete Frauen boten den Gästen Pappbecher mit Cola an und wiesen ihnen einen Platz auf den Bänken zu. Die Totenwache würde nun Tag und Nacht bis zum Begräbnis am übernächsten Tag gehalten werden. Alle stärkten sich mit Brot und Getränken, um die schwere Zeit der Trauer durchzustehen. Wo sie sonst hier fast nichts zu essen hatten, kein Geschirr und Besteck – heute hatten sie zur Ehre von Ovidiu für die Gäste mit Hilfe der Nachbarschaft alles aufgeboten, was möglich war.
Dass es in dieser Zeit so viel zu essen und trinken gab, ließ mich an Abraham denken und wie er die drei fremden Gäste empfangen hatte. Er nahm „Butter, Milch und das Kalb, das er hatte zubereiten lassen, und setzte es ihnen vor. Er selbst wartete ihnen unter dem Baum auf, während sie aßen.“ Im Judentum gehört die Bewirtung von Gästen und besonders von Fremden zu den größten Taten der Nächstenliebe. Es ist ein Dienst an Gott selbst, er isst sozusagen mit. Im Hof der zerstörten Familie wurde das Essen zum Trost der weinenden Dorfgemeinschaft. Nur Gott selbst konnte die Familie trösten, die ihren Sohn so plötzlich verloren hatte. Sein über alles geliebtes Pferd mit dem Fohlen zog im Regen den Wagen mit dem Leichnam zur Kirche. Mutter und Schwester brachen unter Tränen schreiend zusammen. Jedes bisschen an Essen und Trinken und vor allem an Gastfreundschaft war jetzt lebensnotwendig. Damit Gott trösten konnte.