Manchmal muss einem der Kopf gewaschen werden, um sich neu auszurichten.
Der Regen ergoss sich vierzig Tage und vierzig Nächte lang auf die Erde.
Gen 7,12
You are a regency widow! Wie die Trauer einer Witwe kann sich für einen heranwachsenden Jesuiten die Zeit nach seinem ersten praktischen Einsatz (Regency) anfühlen. Vier Jahre stand ich mitten im Leben, prall gefüllt mit Begegnungen. Meine Zeit im Jugendzentrum in Innsbruck war ein wahres Geschenk. In meinen Abendgebeten ließ ich das Erlebte tiefer einsickern, meine Vorstellungen wurden von den Nöten und Anliegen der Jugendlichen hinterfragt. In dieser Auseinandersetzung verwandelten sich nicht nur das Programm des Jugendzentrums, sondern auch ich mich selbst, mein Selbstverständnis als Jesuit, mein Blick für den anderen und meine Beziehung zu Gott.
Der Wechsel nach Rom zum Theologiestudium im Juni 2017 war mir schon vor langem angekündigt worden. Ich hatte genügend Zeit, mich zu verabschieden und zu sehen, dass das Jugendzentrum in guten Händen war. Aber kaum betrat ich mein neues Zimmer, zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Erst hier ließ ich den Trennungsschmerz zu oder konnte ihn nicht mehr verdrängen. Ich suchte Trost in den liebevollen Briefen und Videonachrichten der Jugendlichen und ihrer Eltern. Betrachtete Bilder von gemeinsamen Reisen. Sie ließen mich den Abschied nur deutlicher spüren.
Aus meinem Fenster blickte ich auf die Kuppel der Kirche „Il Gesù“, ein Prototyp barocken Kirchenbaus. Zweimal um die Ecke und schon stand ich direkt vor dem Pantheon. Aber all diese Pracht half mir nicht aus meiner Trauer. Selbst die freundliche Aufmerksamkeit meiner neuen Mitbrüder konnten mir meinen Schmerz nicht nehmen. Und das Gebet? Zeitweise versuchte ich ihm auszuweichen. Denn gerade in der Stille wurde überdeutlich, dass ich mich dem Neuen noch nicht überlassen wollte. Ich hing am Bekannten und blieb bei mir stehen.
Mit einem kurzen, direkten Kommentar zu diesen Zeilen, die ich vor drei Jahren geschrieben hatte, wusch mir ein befreundeter Mitbruder den Kopf. Es war keine angenehme Erfahrung, aber eine gerechte, denn sie richtete mich neu aus.
Um gerade solche Nabelschau zu vermeiden, gehören Neubeginne zum Charakteristikum eines Jesuitenlebens. Der häufige Wechsel soll eine innere und äußere Verfügbarkeit trainieren, die den Blick hin in die Welt öffnet, wo Gottes Geist weht. Festgefahrene Riten und Strukturen werden so immer wieder aufgebrochen. Es ist nie zu spät, etwas neu zu beginnen, wie der Prophet Hosea uns zuruft: „Nehmt Neuland unter den Pflug! Es ist Zeit den Herrn zu suchen; dann wird er kommen und Gerechtigkeit für euch regnen lassen.“ (Hosea 10,12)
Noach blieb nicht bei sich stehen. Er suchte den Herrn, deswegen war er in Gottes Augen ein Gerechter. In dieser Haltung blieb er verfügbar für Gottes neuen Plan und baute mitten im Festland die Arche. Als sie fertiggestellt war, ließ Gott das Wasser ansteigen und seine Gerechtigkeit vierzig Tage und vierzig Nächte vom Himmel regnen. Gott wusch seiner Schöpfung den Kopf und richtete sie neu aus.
Seit neun Monaten leite ich in Berlin ein Jugendzentrum, die meiste Zeit online oder mit Abstand und Maske. Für gut 500 Jugendliche sind Sommerfahrten geplant. Ob sie stattfinden können, steht noch in den Sternen. Um möglichst flexibel zu bleiben, planen die jungen Gruppenleiter emsig Alternativprogramme und betreten damit Neuland. Ihre Verfügbarkeit beeindruckt mich und wie sie in all dieser Ungewissheit auf das Wohl ihrer Gruppenmitglieder ausgerichtet bleiben.