Wessentwegen fand ich in der Fremden eine offene Tür?
Er behandelte Abram ihretwegen gut: Er bekam Schafe und Ziegen, Rinder und Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele.
Gen 12,16
Eine Hiobsbotschaft folgt der anderen. Zuerst die Wucht des noch unbekannten Virus. Stay home, save lives! rufen wir uns zu und versuchen die Verbreitung von Corona durch Abstand und Isolation zu brechen. Quasi alle Einrichtungen werden geschlossen. Ebenso die Jesuitenschule Canisius Kolleg in Berlin samt der außerschulischen Jugendarbeit „Ignatianische Schülergemeinschaft“ [ISG]. Noch sind Online-Plattformen nicht etabliert. Gemeinsames Singen von Balkonen, Applauswellen für die überarbeiteten Pflegekräfte und ein einsamer Papst auf dem Petersplatz durchbrechen die Eintönigkeit. Mit dem nahenden Sommer erhofft man sich, dass der Virus verdrängt werde. Die sinkenden Infektionszahlen bekräftigen dies. Nach Ostern beginnen sich zaghaft einzelne Türen wieder zu öffnen. Bei den Kindern und Jugendlichen der ISG keimt Vorfreude auf die anstehenden Sommerlager auf. Mit Enthusiasmus stürzen sie sich in deren Planung. Doch die Jugendherbergen durchkreuzen ihre Euphorie. Sie dürfen ihre Tore nicht öffnen. Normalerweise fährt die ISG in Scharen von je 100 Jugendlichen für zwei Wochen weg. Aber die Hygienebestimmungen der Bundesländer erlauben Übernachtungen nur für Kohorten zu maximal 25 Personen. Der Sommertraum zerplatzt. Die Stimmung unter den jugendlichen Leiterinnen und Leiter knistert. Alternativen werden gesucht. Für die Jüngeren werden Tagesveranstaltungen auf dem Schulgelände angeboten. Für jede Stufe sollen es jeweils fünf Tage sein.
Aber die Leiterrunde der achten Klassen wollen mehr. Vor allem Eddi will nicht klein beigeben. Er ist ein reines Energiebündel und steckt seine Umgebung mit seiner Fröhlichkeit an. Herausforderungen entzünden seinen Entdeckergeist. Im Team entwickeln sie neue Konzepte. Die Großgruppe wird in vier Kleingruppen zu je 25 Personen aufgeteilt, die jeweils mit der Bahn und Fahrrädern zu Selbstversorgerhäusern aufbrechen und dort eine Woche gemeinsam verbringen sollen. Ein eigenes Computerprogramm wird entwickelt, so dass die vier Gruppen miteinander kommunizieren und spielen können. Die Idee ist genial, doch müssen nun in kürzester Zeit vier Unterkünfte gefunden werden. Die Suche ist ein reiner Stresstest. Eddi und seine Mitleitenden klemmen sich hinters Telefon, nebenbei absolvieren sie ihr Abitur. Drei Häuser werden gefunden, ein viertes fehlt noch. Die Zeit tickt. Die Ferien nahen. Die Familien wollen planen. Eine Lösung muss her.
Da wendet sich Eddi an die Mutter eines Klassenfreundes. Gudrun und Wolfgang haben seit dem Fall der Mauer einen verfallenen Gutshof in Brandenburg liebevoll in Kleinstarbeit renoviert. Einige Wochenenden hatte Eddi mit deren Sohn dort verbracht. Über die Jahre war er ihr ans Herz gewachsen. Sie nennt ihn ihren zweiten Sohn. Ohne zu wissen, wie das alles klappen sollte, sagt Gudrun uns ihr Haus zu. Fünfundzwanzig überglückliche Teenager erobern wenige Wochen später die kleine Oase. Überall im Stall liegen Isomatten, Schlafsäcke und Berge von Kleidern. In der kleinen Küche werden kiloweise Nudeln gekocht. Bis spät in die Nacht gehen die Tage. Die Stimmung ist großartig.
Sommer 2020 war nicht das letzte Mal, dass wir in Gudruns Haus Herberge fanden. Die Tür steht uns wegen Eddi offen, wie damals für Abram wegen Sarai.