Was bewahrt dich vor Aktionismus?
Das Wasser aber schwoll hundertfünfzig Tage lang auf der Erde an.
Gen 7,24
Ein wunderbarer Ausblick. Am Horizont umfängt eine Hügelkette die Meeresbucht. Die Sonnenstrahlen brechen sich verspielt in der Wasseroberfläche. Von unserem Haus aus windet sich das Gelände zum Strand hinab. Im gepflegten Garten genießen Studenten den Pool, sind in Gespräche vertieft oder baden sich in der Sonne.
Vor mir am kleinen Balkon ein noch kleineres Tischchen mit einer Hostie und einem Kelch. Es ist Sonntag. Seit zwei Tagen ist unsere Gruppe in Griechenland. Es ist die Abschlussfahrt für die jungen Erwachsenen nach fünf Jahren ehrenamtlichen Einsatz in der Jugendarbeit am Berliner Canisius Kolleg. Mit großer Bereitschaft haben sie sich für die Kinder und Jugendlichen eingesetzt. Mit dem christlichen Glauben und der Kirche hadern sie. Trotzdem waren sie in ihrer Verantwortung als Gruppenleiter bereit, Gebete anzuleiten und Gottesdienste mitzugestalten. Doch diese Fahrt ist nicht für ihre Schützlinge da, sondern für sie selbst, zur Reflexion der letzten Jahre, zur Aussprache untereinander und Gestaltungsvorschläge für die Zukunft der Jugendeinrichtung. Und diese Tage sind ein Dankesgeschenk für sie.
Heute hatten wir viel Zeit der gemeinsamen Reflexion mit chronologischem Rückblick auf die letzten fünf Jahre und die gewachsenen Beziehungen zu den Grüpplingen gewidmet. „Was waren die prägenden Erlebnisse, Veränderungen und Ereignisse, die euch als Leiterrunde geprägt haben und ausmachen? Welche Stationen waren auf eurem Weg wichtig? In dieser Zeit sind Beziehungen und Bindungen entstanden, wurden Konflikte ausgetragen und gelöst; hast du Erfahrungen des Erfolges und des Scheiterns im persönlichen Umgang mit deinen Grüpplingen erlebt.“ Durch diese und weitere Fragen kam vieles zur Sprache, nicht nur Angenehmes.
Die Zeit schritt voran und danach war niemand in der Stimmung, einen Gottesdienst vorzubereiten noch zu feiern. Und ich war nicht bereit den Alleinunterhalter zu spielen und mit Druck eine Eucharistiefeier zu erzwingen. So saß ich alleine auf dem Balkon. Anfangs brodelten Ärger, Enttäuschung und Unverständnis in mir. Nach zehn Jahren am Jesuitenkolleg, mitten in der Jugendarbeit engagiert und kein Funken Sehnsucht, Gott für all das Erlebte in der Liturgie zu danken. Das ist aber die Realität vieler Menschen, mit denen ich unterwegs bin. Gesegnet mit Talenten sowie Einsatzbereitschaft und doch haben wir noch keine gemeinsame Sprache gefunden. Ich denke an Mitbrüder, die in ihren Missionsreisen versucht haben, die Kultur und Sprache der anderen zu erlernen, um ihnen ihren Glauben verständlich zu bezeugen. Wie viele Stunden, Tage und Jahre haben sie einsam und unverstanden verbracht. Wie oft sind sie gescheitert? Was würden sie heute tun?
Als ich noch im Noviziat war, meinte ein Bischof zu uns, dass die Kirche noch nicht am Boden angekommen sei und wir uns vor Aktionismus hüten sollten, in der Hoffnung, das Ruder rumreißen zu können. Viel wichtiger sei es, in dieser Abwärtsdynamik geistliche Orte als Quellorte für Neues zu gründen. Wie etwa Noach die Arche auf göttliche Verheißung errichtet hatte. In den Tagen vor der Sintflut war dies eine törichte Tat. Und nun in der Weite des Wassers ein Ort des Schutzes und Heiles. Ein Ort der Einkehr, wie mir der kleine Balkon wurde. Im Gebet wichen eigene Erwartungen den konkreten Menschen und unseren gemeinsamen Geschichten. Die Reflexionsfragen des Tages begannen in mir selbst Raum einzunehmen. Einfach das Erlebte darlegen, ohne Hast nach Lösungen oder Griff nach Bekanntem. Im Vertrauen treiben lassen, dass so fruchtbare Begegnung geschehen wird, auch wenn es noch hundertfünfzig Tage dauern könnte.
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