Der Traum der einen Weltsprache übersieht so einiges.
Die ganze Erde hatte eine Sprache und ein und dieselben Worte.
Gen 11,1
Zwei Kunstfertigkeiten haben mir meine Geschwister nicht zugetraut: Singen und Sprachen. Und das mit gutem Grund. Der richtige Ton war meist ein Glückstreffer. Insofern stellte sich eine Benediktinerlaufbahn als Illusion dar. Mehr lockte da schon das „Jesuita non cantat“. Aber in einen Orden einzutreten, der einen überallhin auf der Welt senden kann? Meine Deutschschularbeiten glichen einer Hochschaubahn und im Englischunterricht hoffte ich in der Masse untertauchen zu können. In Latein rettete mich der Stowasser und Russisch blieb auf dem Niveau des Auswendiglernens.
Gleich in meinem zweiten Ordensjahr musste ich innerhalb von zehn Wochen Altgriechisch auf Hochschulniveau erlernen. Jeden Vormittag wurden wir vier Jungjesuiten liebevoll aber bestimmt von unserem achtzigjährigen Griechischveteranen geschult. Nachmittags hieß es Vokabeln zu pauken und zu konjugieren. Am nächsten Morgen folgte stets ein kleiner Test und weiter ging es im Lehrbuch. Selbst wenn ich nach knapp zwölf Jahren Abstinenz keinen griechischen Satz mehr übersetzen kann, wurde mir durch dieses Intensivstudium eine tiefere Ebene in die Denkwelt des Neuen Testaments eröffnet und ein Gefühl dafür, wie vorsichtig mit Übersetzungen zu arbeiten ist. Denn in jeder steckt eine Deutung und werden Akzente gesetzt. Ein klassisches Beispiel bietet die scharfe Reaktion von Jesus auf Petrus Ausruf, dass Gott den Tod seines Messias verhindern möge. Jesus fährt seinen Freund mit dem Wort „όπίσω“ (opiso) an. In der Einheitsübersetzung, mit der ich aufwuchs, wurde dies mit: „Weg mit Dir, Satan, geh mir aus den Augen!“ übersetzt (Mk 8,33). Doch bedeutet die Aufforderung vielmehr „tritt hinter mich“, wie es in der aktuellen Version richtiggestellt ist. Damit kommt viel deutlicher das geistliche Ringen einer christlichen Nachfolge zum Ausdruck, anstatt einer befremdlichen Entlassung.
Die Philosophie in München lehrte mich einen tiefen Respekt vor der Sprache. Mit welcher Selbstverständlichkeit wir Begriffe verwenden, und meinen damit die Wirklichkeit zu begreifen! Was etwa benennen wir, wenn wir „Zeit“, „Freiheit“ oder „Selbstbestimmung“ sagen? Oder wie schnell sind wir versucht, den Unbegreiflichen mit „Gott“ in den Griff zu bekommen? Sind das nur Luxusprobleme?
Für die Theologie ging es nach Rom in das Collegio Internationale di Gesù. Sechzig Mitbrüder aus dreißig verschiedenen Nationen und noch mehr Kulturen lebten hier unter einem Dach. Für manche von ihnen war Italienisch die sechste oder gar achte Sprache, die sie erlernten. Über die drei Jahre kreierten wir ein Binnenitalienisch, das wir perfekt verstanden, aber bei römischen Ohren auf Unverständnis stieß. Im Miteinander träumte ich häufig von einem Idealzustand, wie er in der Genesis beschrieben wird. Eine gemeinsame Sprache. Wie viel Austausch wäre da möglich!? Wäre es für den theologischen Diskurs nicht viel sinnvoller, alles auf Englisch zu unterrichten? Bis zum Konzil war es doch auf Latein auch möglich? Auf den verschiedensten Leitungsebenen breitete ich diesen Traum aus.
Aber wieviel Nuancen des Begreifens der Welt würden durch eine gemeinsame Weltsprache übersehen werden! Mir scheint nach meiner kleinen Sprachreise das Pfingsterlebnis viel wunderbarer. Der verbindende Geist Gottes führt nicht zurück zum vermeintlichen Idealzustand, sondern lässt ein Verstehen der großen Taten Gottes in der Vielfalt der Sprachen und Völker zu (Apg. 2,11). Dabei spielt auch das kleinste Detail eine Rolle.