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Zuversicht

Wenn die Fremde zur Heimat wird

Dir und deinen Nachkommen nach dir gebe ich das Land, in dem du als Fremder weilst, das ganze Land Kanaan zum ewigen Besitz und ich werde für sie zum Gott sein.
Gen 17,8

Seit zehn Jahren wohne ich in einem Haus mit vierundzwanzig Parteien. Von Beginn an fiel mir ein älterer Herr auf – immer freundlich, bescheidenes Auftreten, im Alltag meist mit einem Arbeitsmantel bekleidet. Sein Name Ramadani verwies auf eine fremde Herkunft. Der obenstehende Bibelvers ermunterte mich, ihn einmal nach seiner Biographie zu fragen. Bereitwillig erzählte er mir in einem langen Gespräch von den Stationen seines bewegten Lebens.
Aufgewachsen in einer armen Familie in Nordmazedonien – damals war es noch eingegliedert in das sozialistische Jugoslawien Titos – und als Schreiner ausgebildet, war er nach sechzehn Monaten Militärdienst auf der Suche nach Arbeit. Im eigenen Land waren die Möglichkeiten begrenzt, und er richtete wie viele junge Menschen seiner Generation den Blick ins Ausland. Mit zweiundzwanzig Jahren wagte er den Aufbruch. Die ersten Versuche in Wien als Angestellter bei der Bundesbahn und als Schreiner gingen aufgrund von Krankheit daneben. Zugute kam ihm dann, dass Deutschland im Jahre 1968 auch mit Jugoslawien ein Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften schloss, besonders Facharbeiter waren gesucht. Ein wenig ist in seiner Erzählung von der Erniedrigung zu spüren, als ihn Mitglieder der Agentur aus Deutschland in Nordmazedonien auf seine körperliche Verfasstheit bis hin zum Zustand seiner Zähne untersuchten, ob er als Schreiner qualifiziert sei. Das hatte fast etwas von einem Sklavenmarkt. Und so kam er 1973 mit vielen jungen Männern auf dem Hauptbahnhof in München an, wo er mit einem großen Schild „Drei Schreiner für Straßlach“ erwartet wurde. Der Vorteil dieses politisch gewollten Einwanderungsprozesses war, dass er sich weder um die jährlich zu erneuernde Aufenthaltserlaubnis noch um Wohnung und Arbeitsgenehmigung kümmern musste. Von Straßlach wechselte er nach München in eine Firma für Montagefenster, die in ganz Deutschland Baustellen betreute. Durch Fleiß, Sparsamkeit und viele Überstunden ersparte er sich bald ein kleines Vermögen, eine „materielle Heimat“ in der Fremde.
Schwieriger war es auf der Beziehungsebene. Ehrlich erzählte er von seiner Einsamkeit, bedingt durch Sprache und kulturelle Unterschiede. Bei einem Heimaturlaub verliebte er sich in eine Frau, die mit ihm nach Deutschland zog. Sie heirateten im jugoslawischen Konsulat in München, sie war zweiundzwanzig, er dreiunddreißig. Dass seine Frau vier Jahre keine Arbeit übernehmen durfte und dass sie acht Jahre auf ein Kind warteten, belastete ihr Leben sehr. Erst die Geburt zweier Kinder – der Sohn studiert heute Betriebswirtschaft, die Tochter internationales Recht – schuf einen emotionalen Lebensraum in der Fremde. Beide sind und fühlen sich heute als Deutsche. Aus „Gastarbeiter*innen“ wurden Einheimische.

Sarah und Abraham verbringen ihr gesamtes Leben in der Fremde, getragen und geführt von ihrem Vertrauen auf den mitgehenden Gott. Und sie hören das Wort der Zuversicht, dass das ihnen Fremde für die nachkommende Generation zu deren Heimat werden wird. Es wird keine gottlose Generation sein.