Die Nachfolgefrage zeigt wie im Röntgenbild meine tiefsten Anliegen für Familie, Besitz und Werke. Was soll mich überleben?
Und Abram sagte: Siehe, du hast mir keine Nachkommen gegeben; so wird mich mein Haussklave beerben. Aber siehe, das Wort des HERRN erging an ihn: Nicht er wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird dein Erbe sein.
Gen 15,3-4
Auf dem Hof meiner Großeltern mussten alle zupacken. Tiere füttern, Ausmisten, Kühe melken. Felder bestellen, Kartoffeln und Zuckerrüben ernten. Putzen, Waschen, Kochen. Da war immer etwas zu tun. Die unverheirateten Tanten lebten hier, gegen Einsatz ihrer Arbeitskraft, dafür bekamen sie ein Taschengeld. Sie waren eingebunden in den Familienkreis und wurden bis zu ihrem Tod zuhause gepflegt, von der jungen Generation. Immer war das Haus offen, es gab gar keinen Schlüssel an der Haustüre. Freunde, Verwandte, Gäste waren da und wurden bewirtet – und eingebunden in die Aufgaben und Fragen. Wenn wir mit den Eltern zu Besuch kamen, waren wir gleich einmal am Acker oder im Stall und halfen mit. Danach gingen alle in die „Stube“. Am großen Tisch saßen immer viele Leute, die mit großem Appetit die hausgemachte Wurst, das selbstgebackene Brot und den meist noch warmen Strudel verspeisten und Most tranken. So gut schmeckte es mir nirgends. Wichtig war dem Hausvater, dass die Gäste gut behandelt wurden.
Oft schon hatte sich die Frage gestellt, wer von den Kindern den Hof übernehmen werde. Bald schon war klar: der Älteste nicht. Er ging ins Kloster. Die Mädchen begannen eine Ausbildung in der Bank und in der Verwaltung. Der drittälteste Sohn wuchs dem Vater mehr und mehr ans Herz. Als kleiner Bub schon war er mit dem Traktor gefahren, obwohl er kaum übers Lenkrad schauen konnte. In der Schule war er nicht der Beste, doch er liebte die Tiere und die Natur. Für ihn kaufte der Vater ein Pferd, bald auch einen Wagen dazu. Der Bub verdiente sich Geld mit Fahrten für die anderen Bauern, bald auch für Stadtkinder, die eine Ausfahrt am Land machten. Er übernahm den Hof und auch den Auftrag des Vaters, dass das Haus immer offen für Gäste sein solle. Nie dürfe die Tür abgesperrt sein. Der junge Bauer und seine Frau bewahrten diesen Schatz in ihrem Herzen.
Inzwischen haben sie die kleine Landwirtschaft aufgeben müssen. Es lohnte sich nicht mehr, so wenige Kühe und Schweine zu halten. Doch der offene Geist im Haus ist erhalten geblieben. Jederzeit kann man kommen und am Tisch Platz nehmen, in einer großen Familie.
Auch Abram machte sich Gedanken darüber, wer ihn beerben würde. Er war in die Jahre gekommen und hatte noch keine Kinder. In Frage kam nur der Verwalter, aber niemand aus der eigenen Familie. Bei meinem Großvater standen neun eigene Kinder für die Übernahme des Hofes zur Wahl. Doch beide Vorfahren – Abram und mein Großvater – bedrängte die eine Frage: Wer soll erben? Es ging ihnen nicht nur um Güter und Geld, nein, sie wollten einem göttlichen Auftrag gerecht werden, in Verbundenheit mit der Familientradition und der Verpflichtung gegenüber MitarbeiterInnen und dem Werk. Meinem Großvater war es wichtig, dass der große Familientisch weiterleben und die Haustüre offenbleiben solle. Abram hingegen wollte seinen Auftrag weitergeben, das Vertrauen in der Welt zu stärken und den Glauben an den Einen Gott zu verbreiten.
Die Nachfolgefrage zeigt wie im Röntgenbild meine tiefsten Anliegen für Familie, Besitz und Werke. Was soll mich überleben?