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Engelsgeduld

Manche Stimmungswechsel kommen unverhofft.

Der Engel des HERRN fand sie an einer Wasserquelle in der Wüste, an der Quelle auf dem Weg nach Schur.
Gen 16,7

Endlich war der Tag gekommen! Seit Wochen schon freuen sich die Kinder und ihre Gruppenleiter auf das erste gemeinsame Sommerlager. 80 Grüpplinge schwirren kreuz und quer über den Basketballplatz der Schule, geben Anmeldeformulare ab, quatschen und blödeln. Unter dem Gewusel sticht Albert mit seinen frisch gefärbten grünen Haaren heraus. Er zählt zu den Größten der Stufe und ist nicht auf den Mund gefallen. Seine Leidenschaft für Gerechtigkeit hat ihn schon in einige Konflikte geführt. Kompromissbereitschaft ist nicht seine größte Stärke. Einige schüchtert sein starkes Auftreten ein. Nicht aber Kim, der zwar ein knappes Jahr älter als der Rest ist, aber eher zu den Kleineren unter ihnen zählt. Er ist nicht minder wortgewandt. Nach ihm blickt sich Albert auf dem Feld um. Aber er ist nirgends zu finden. Noch am Abend zuvor hatten sie sich die Haare gefärbt. Nun ist Kim erkrankt.
In Partystimmung steigen die Kinder aus den beiden Reisebussen aus und staunen über die Jugendherberge mit ihrem Beachvolleyball- und Bolzplatz sowie der riesigen Seilrutsche. Der kleine Bach hinter dem Haus grenzt das Grundstück vom Wald ab. Die Großgruppe wird in Jungs und Mädchen aufgeteilt und in den jeweiligen Gruppen werden die Regeln und der Tagesablauf erläutert. Dann geht es in die mit großer Spannung erwartete Zimmeraufteilung. Am Boden werden Blätter pro Zimmer mit der jeweiligen Bettenzahl aufgelegt. Die Kinder durchstreifen schweigend den Raum und stellen sich zu den jeweiligen Zimmern hinzu, die sie beziehen wollen. Das geht so lange, bis jeder einen Platz gefunden hat. Dann schließen alle die Augen, und zeigen mit Daumen nach oben oder unten, ob sie mit der Einteilung zufrieden sind. Der Prozess ist erst abgeschlossen sobald alle Daumen nach oben zeigen. Das kann eine kleine Ewigkeit dauern. Mitten im Prozess stürmt Albert aus dem Raum und läuft weg. Franz, sein direkter Gruppenleiter, eilt ihm nach.
Neben dem Bach hockend findet er ihn. Der Junge ist außer sich. Weint so bitterlich, dass er keinen ganzen Satz sagen kann. Niemand wolle ihm im Zimmer haben. Das war schon beim Übernachtungswochenende im Winter so. Da haben Kim und er sich zu den Verlierern ins Zimmer legen müssen. Aber jetzt ist Kim nicht hier. Er wolle gleich nach Hause. So verzweifelt hat Franz ihn noch nie erlebt. Alberts ganzer Körper bebt. Die tröstenden Worte scheinen nicht durchzudringen. Alles sei ungerecht! Er wolle sofort mit seiner Mutter telefonieren. Nur weg von hier!

„Nur weg von Sarai! Nicht einmal Abram, der Vater meines Kindes, schützt mich vor den Schmähungen meiner Herrin.“ Wie groß muss die Enttäuschung der stolzen Hagar gewesen sein, dass sie bereit war, als Sklavin und schwanger zu fliehen? Sie wandert durch die Wüste und findet Rast bei einer Quelle. Ein Engel sucht sie auf. Es ist leicht vorstellbar, wie sie ihm ihr Leid klagt und ihrer Verzweiflung freien Lauf lässt. Wie wird er reagieren? Wird sie auf ihn hören?

Nach einer knappen Stunde tröstender Worte und gemeinsamen Schweigens gibt Franz nach. Der Junge scheint wie versteinert. Sein Gruppenleiter macht sich auf dem Weg um seine Mutter anzurufen. Doch kaum erklingen die Grußworte der Mutter, läuft Albert ihm entgegen und ruft strahlend: Ich bleibe!
Keiner weiß, was den verletzten Burschen umgestimmt hat. Vielleicht trug die engelsgleiche Geduld des Gruppenleiters dazu bei, dass Albert ein solches Vertrauen aufbauen konnte, um den Weg in die Gruppe zu schaffen.