Welches Beziehungsnetz trägt mich in diesen beengten Zeiten? Familie? Freundschaften? Arbeit? Glaube? Kunst?
Mit dir aber richte ich meinen Bund auf. Geh in die Arche, du, deine Söhne, deine Frau und die Frauen deiner Söhne.
Gen 6,18
Eine Familie mit sechs Kindern – im Zeitraum von achtzehn Jahren geboren – und neun Enkelkindern – ein Neunjähriger wurde durch einen Gehirntumor der Familie plötzlich
entrissen –, das ist kein Verdienst und keine Leistung, sondern eine gute Lebensschule. Das familiäre Beziehungsnetz bewährt sich in beengten Zeiten. Die Kinder, ohne sie zu idealisieren, sind ausgestattet mit einem Grundvertrauen in das Leben und mit Gemeinschaft stiftenden Begabungen. Prüfungen, Krankheiten und Leiden haben sie belastbar und stark gemacht. Sie begegnen den Herausforderungen der Zeit demütig und selbstbewusst. Ein Trost für die Eltern. Und die Enkelkinder sind für einen fünfundsiebzigjährigen Opa ein besonderes Geschenk. Die berufstätigen Eltern, in Zeiten geschlossener Kitas und Schulen froh über jede kleine Entlastung, ermöglichen so schöne Stunde des Zusammenseins. Wenn die Zehnjährige, Vegetarierin und Tierschützerin – zu Weihnachten wurde ihr Wunsch nach einem Stall für Meerschweinchen erfüllt –, den Genuss von Wurstnudeln mit dem Satz „Schade, jetzt musste wieder ein Tier dafür sterben!“ begleitet, dann ist das ein Moment, der ihre Ideale etwas menschlicher macht. Wenn sich die Enkelkinder für gemeinsame Spiele, vor allem für das Kartenspiel Watten, begeistern, dann blüht der Opa mit seiner Spielsucht auf. Er hat dabei zur Freude der Kinder schon manchen Euro verspielt. Wenn bei der energiegeladenen Vierjährigen beim Memory-Spiel die Augen glänzen, weil sie mit ihrem fotografischen Blick den Opa jedes Mal vernichtend schlägt, dann ist das ein die Wirklichkeit unverblümt zeigender Moment. Oder wenn sie ihm schmeichlerisch liebevoll einen Kuss auf die Wange drückt, weil sie etwas besonders Verbotenes will – Handy, Fernsehen, Süßigkeiten –, dann sind das unvergessliche emotionale Zeichen der Nähe. Die Enkelkinder helfen, die augenblicklich verordnete Enge zu tragen und zu ertragen.
Die Bibel entwirft für eine Situation der Katastrophe ein beeindruckendes Bild. Gott ist von Anfang an verliebt in Noach und seine Familie. Ihr untadeliges Verhalten, ihr friedliches Wesen und ihr Gerechtigkeitssinn – und das inmitten einer gewissenlosen, gewalttätigen und egoistischen Generation – beeindrucken Gott. Sie sind in seinen Augen die einzigen Gerechten, die er unter den Menschen entdeckt. Solch starke und integre Persönlichkeiten will er vor dem Untergang in der alles Leben zerstörenden Katastrophe der Sintflut erretten und mit ihnen und ihren Söhnen und Schwiegertöchtern einen Neuanfang des Menschengeschlechtes wagen. Er motiviert sie zum Bau eines schwimmenden Kastens – laut Tradition weit weg vom Meer auf Land, die Arbeit dauert hundertzwanzig Jahre – und setzt dann auch den Zeitpunkt ihres Eintritts in diesen Schutzraum fest. Adam und Eva hat Gott aus dem bewahrenden Raum des Paradieses in die Welt weggeschickt, Noach und seine Familie schickt er in den bergenden Raum der Arche. Alles zu seiner Zeit.
Welches Beziehungsnetz trägt mich in diesen beengten Zeiten?