Was hilft dir, wenn der Pegel der Belastung selbst die schönsten Höhepunkte unter sich begräbt?
„Das Wasser war fünfzehn Ellen über die Berge hinaus angeschwollen und hatte sie zugedeckt.
Gen 7,16
Es ist ihre letzte gemeinsame Fahrt. Vier Sommer hatte beinahe die ganze Schulstufe des Berliner Canisius Kollegs zwei Wochen ihre Freizeit zusammen verbracht. Diese Erlebnisse haben die drei Klassen zusammengeschweißt. Vor einem Jahr konnten sich die Vierzehnjährigen für ihre fünfte Fahrt anmelden. Innerhalb einer halben Stunde waren alle achtzig Plätze ausgebucht. Für sechs Tage fuhren wir in ein Jugendhaus in Schleswig-Holstein. Danach folgten vier Tage in der Ostsee auf drei großen Fregatten. Die fünf Jahre älteren Gruppenleiter hatten das Programm bis ins letzte Detail durchgeplant. Normaler Weise besteht die Runde aus zwölf Jugendleitern und vier ältere Erwachsene bilden das Backup. Doch aufgrund verschiedenster Verpflichtungen und Erkrankungen schrumpfte das Begleitteam auf zehn Personen. Von sieben Uhr morgens bis drei Uhr nachts werkten die Studenten mit viel Hingabe, um ihren Schützlingen eine fantastische Zeit zu bieten. Sie hatten Erfahrung und kannten solch intensiven Tage. Doch dieses Mal war es anders. Der Aufgabenpegel stieg unablässig. Wir Erwachsenen zogen immer wieder die Notbremse und strichen mit unserem Vetorecht Programmpunkte, damit die Studenten ein wenig durchatmen konnten. Aber es waren nicht primär die physischen Herausforderungen, die an ihnen zerrten. Vielmehr drückten die vielen Pakete diverser Erfahrungen, die sie mit sich auf die Reise brachten. Die Pandemie hat viele ihrer Pläne durcheinandergebracht. Studien wurden abgebrochen oder Prüfungen ständig verschoben, so dass sich alles vor der Sommerfahrt ins Extreme verdichtete. Andere sind in ihrem ersten Jahr nach der Schule in die griechischen Flüchtlingslager aufgebrochen und haben versucht zu helfen, wo es ging. Die Schicksale der Gestrandeten klebten an ihren Schultern. Gleichzeitig war es auch für sie eine Reise des Abschiednehmens. Fünf Jahre hatten sie sich für ihre Grüpplinge jede Woche in den Gruppenstunden eingesetzt, fünf Sommerfahrten organisiert und waren nun zehn Jahre insgesamt in der Jugendarbeit des Kollegs aktiv. Nun hieß es, auch davon loszulassen.
Nachts, sobald die Jugendlichen schliefen, flossen in den Leiterrunden oft die Tränen vor Anspannung. Ihre Schützlinge merkten von den Stimmungsschwankungen nichts. Wir hofften auf einen rettenden Wandel, sobald wir auf die Schiffe wechselten. Mit großer Euphorie setzten wir die Segel. Doch dann nahm der Wind an Kraft zu, die Wolken wurden dichter, die Wellen höher und die Schiffe wurden hin und her geworfen. Einige Jugendlichen feierten das Abenteuer, doch viele klammerten sich an die Reling und übergaben sich. Als wir endlich im Hafen ankamen, war die Erleichterung aller spürbar.
In der Abendrunde hingegen war die Stimmung auf Land unter. Die schönsten Höhepunkte der vergangenen Tage und Jahre waren von den gegenwärtigen Sorgen zugedeckt. Wie Noach und die Seinen trieben wir hilflos dahin. Uns Erwachsenen drohte die Leiterrunde zu entgleiten, denn wir wussten nicht mehr, wie wir sie auffangen sollten.
Genau diese Ratlosigkeit eröffneten wir ihnen. Wir mussten reden. Die eigenen Lasten einander anvertrauen, so dass wir uns als Team erfuhren. Wir versuchten sie wieder ins Boot der Verantwortung für die Teenager zu holen. Und Gott sei Dank ließen sie sich darauf ein – zunächst zögerlich, dann ausführlicher.
Der erhoffte Wendepunkt trat ein. Ein neuer Geist war am nächsten Morgen spürbar, ein kräftigeres Miteinander.
Wie erfrischend war die Welle der Dankbarkeit ihrer Schützlinge am letzten Abend!
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