Welche Schwächen habe ich? Wie kann ich sie zum Friedenswerkzeug machen?
Erscheint der Bogen in den Wolken, dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen …, und das Wasser wird nie wieder zur Flut werden.
Gen 9,14-15
Breitbeinig und mit verschränkten Armen versperrt Moldoveanu den Eingang zum Bahnhofskiosk. Nein, Marius darf nicht hinein, er hat Lokalverbot. Das bestätigen alle, die mit uns sind, selbst „Mutu“, der Taubstumme, erklärt mit Handzeichen und Augenrollen, dass Marius zu gefährlich sei. Unsere Freunde, die seit Jahrzehnten am Bahnhof leben und in keinem Kinderheim, in keiner Notschlafstelle oder sonstigen Hilfseinrichtung durchgehalten haben, sind verzweifelte Menschen am Abgrund. Sie alle haben Probleme mit Alkohol und Drogen. Anders kann man wahrscheinlich die Heimatlosigkeit, die Gewalt und die kalten Nächte nicht aushalten. Neulich hat Marius eine Riesenschlägerei angefangen, er war betrunken. Der Kioskbesitzer hat ihn rausgeschmissen. Nun beschwichtigt Moldoveanu den ungebetenen Gast, er bietet ihm an, ihm eine Portion Fleischbällchen zum Gehsteig gegenüber zu bringen. Marius braust auf: „Warum darf ich nicht hinein, wohl aber Cornel, der voll auf Drogen ist?“ Moldoveanu antwortet: „Wenn der Chef sieht, dass ich dich reinlasse, habe ich ein Problem.“ Doch dann lässt er Gnade walten und führt ihn zu den anderen an den Tisch. Moldoveanu weiß, wie er den schwierigen Gast beruhigen kann, und nachdem Marius seine Portion gegessen hat, soll er auch schnell wieder hinaus, bevor wieder etwas passiert.
In kein anderes Lokal dürfen die heruntergekommenen Gestalten hinein, hier nur dank Moldoveanu. Ich kenne ihn seit bald dreißig Jahren; damals war er ein Kind auf der Straße. Wir nahmen ihn in eines unserer Kinderhäuser auf. Als Halbwüchsiger in der Buben-WG war er Anführer in den wilden Nächten mit Alkohol, lauter Musik, zertrümmerten Möbeln. Auch in ruhigen Zeiten schwebte immer die Angst über uns, wann er wieder zuschlagen würde. Lange hatte ich nichts mehr von ihm gehört – bis uns die Bahnhofsbande erzählte, wo er arbeitet. In einem Plastikzelt auf dem Markt sitzen zweifelhafte Figuren an den Tischen und holen sich etwas zu essen. Moldoveanu sorgt für Ordnung. Er ist der Einzige, der sich vor niemandem fürchtet und bei dem unglückliche Menschen in Frieden essen können.
Es ist wie nach der Flut des Noah. Nach der Katastrophe setzt Gott ein Zeichen für den Bund. Er verwendet dazu den Bogen, der eigentlich ein Kriegsgerät ist. Den Bogen hängt er in die Wolken, wo er zum Regenbogen wird, der das Licht reflektiert. In die Feuchtigkeit, die an die Flut erinnert, scheint die Sonne hinein und erzeugt die schönsten Farben. Der Bogen hat das Schreckliche verloren, er verbindet Himmel und Erde. Er bringt Licht statt Dunkel, Hoffnung statt Tod. Er ist bunt und geordnet, nicht chaotisch wie die Flut. Er ist ein Friedensangebot, in das alle einbezogen sind. Was gegeneinander war, verbindet sich jetzt, wird lichtdurchdrungen und schön.
Es ist ein Miteinander im Zeichen des Regenbogens. Die Flut der Verwahrlosung ist nahe, doch die Sonne der Hoffnung strahlt hinein. Das ergibt dieses wunderbare Licht in der ungewöhnlichen Gesellschaft, in der ausgestoßene Menschen Aufnahme finden. Für mich ist es jedes Mal ein Fest, das einer möglich macht, vor dem ich mich einmal gefürchtet habe. Er bringt mich zur Frage: Welche Schwächen habe ich? Wie kann ich sie zum Friedenswerkzeug machen?