Wie blicke ich in die Welt?
Nachdem sich Lot von Abram getrennt hatte, sprach der HERR zu Abram: Erheb deine Augen und schau von der Stelle, an der du stehst, nach Norden und Süden, nach Osten und Westen! 15 Das ganze Land nämlich, das du siehst, will ich dir und deinen Nachkommen für immer geben.
Gen 13,14-15
„Warum gilt im Gottesdienst der Dank nur Gott und nicht uns, die wir all die Arbeit machen?“ Diese Frage scheint berechtigt. Es stimmt. Die zwölf Gruppenleiter und Gruppenleiterinnen haben die letzten zwei Wochen rund um die Uhr gearbeitet. 07:30 über 80 Teenager wecken, 08:00 Morgengebet, 08:15 Frühstück und Aufsicht, 10:00 erste Spieleinheit, 12:00 – 15:00 Mittagessen und Aufsicht, 15:00 – 18:00 zweite Spieleinheit, 18:00 – 19:30 Abendessen und Aufsicht, 19:30 – 21:30 dritte Spieleinheit, 21:30 bettfertig machen, 22:00 Aufteilung in Kleingruppen zur Reflexion vom Tag, 22:30 Abendgebet und anschließend das Ringen um die Nachtruhe. Während vier Leitende sich gegen die rebellierenden Jugendlichen behaupten, trifft sich der Rest der Runde um 23:15 zur Leiterrunde, bei der gemeinsam der Tag reflektiert wird, Informationen ausgetauscht und Knackpunkte besprochen werden. Miriam hat schon wieder ihre Medikamente vergessen. Adrian scheint inkontinent zu sein. Zwischen A- und C-Jungs ist seit dem letzten Spiel das Kriegsbeil ausgegraben. Joseph hat am Rücken einen Ausschlag. Zwei Kinder haben Zecken und Philipps Finger ist ordentlich angeschwollen. Der Angestellte vom Haus schiebt ständig übergriffige Kommentare. Justus merkt gar nicht, wie verletzend seine Kommentare sind. Jeder Tag bringt seine eigenen Themen in die Runde. Gemeinsam wird das weitere Vorgehen abgestimmt. Schließlich blickt die Runde auf den kommenden Tag, die jeweiligen Aufgaben werden abgesprochen, das vorhandene Material geprüft. Zwischen 01:00 – 01:30 früh endet meist der offizielle Teil der Leiterrunde. In diesem Rhythmus arbeitet die Gruppe ohne Rückzugsort und Pause knapp zwei Wochen durch.
Und wo werkt hier Gott? Die oben zitierte Frage eines Leiters hat seine Berechtigung. Gott stehe im Zentrum des Gottesdienstes, reicht als Antwort nicht aus. Sie greift auch zu kurz, denn sie könnte das Bild eines fernen Gottes fördern, den man durch Lobpreis und Opfer besänftigen müsse. Aber schon in der Abrahamserzählung wird dieses Gottesbild durchkreuzt. Stattdessen zeigt sich ein Gott, der mit den Menschen auf dem Weg ist.
Die obige Frage offenbart aber, dass diese Glaubenseinsicht noch nicht prägend ist. Denn niemand spricht der Leiterrunde den Dank ab. Ihre Hingabe für die ihnen anvertrauten Kinder ist beispiellos und staunenswert. Und bei vielen von ihnen ist die erste genannte Motivation das Gruppenleiteramt zu übernehmen, dass sie der nächsten Generation ebenso eine schöne Zeit schenken wollen, wie es ihnen durch den Einsatz ihrer Gruppenleiter geschenkt worden ist. Es ist also die Erfahrung des Beschenktseins, die sie zu ihrem großherzigen Einsatz motiviert. Und genau in diese Haltung des Beschenktseins kann das tägliche Gebet und speziell die drei Gottesdienste auf den Sommerlagern einüben. Wir danken hier Gott, weil wir uns von ihm beschenkt wissen. Der Gottesdienst erhebt unseren Blick auf die Welt und die Menschen vom Kreisen um einen selbst. Im Ritual feiern wir, wie Gott mit uns auf dem Weg ist; dass er uns nicht nur die Welt als Schöpfung schenkt, sondern in Brot und Wein sich selbst.
In dieser Glaubensgewissheit hat Abram seine Heimat verlassen, Gefahren und Trennungen erlebt und steht vor großen Herausforderungen. Er blickt in die Weite und sieht sie als Gabe Gottes. Als Beschenkter zieht er weiter.