Wo sind die Müden und Erschöpften? Wen kann ich ermutigen?
Melchisedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein heraus. Er war Priester des Höchsten Gottes.
Gen 14,18
Ziegental, „Siedlung 77“. Viele Hütten waren an dem Hügel illegal erbaut worden, alle mit der Hausnummer 77, die einzige offizielle Adresse für das wachsende Roma-Viertel. Um die Kinder von dort in der Schule einzuschreiben, brauchten wir die Geburtsurkunden. Wir gingen von Haus zu Haus, überall herrschten Verwahrlosung und Armut. Am ärgsten war es dort, wo Milu und Savina mit sieben kleinen Kindern in einem Raum hausten. Ein Holzofen und ein alter Schrank, jedes Fach vollgestopft mit Kleidern, Müll, dazwischen vergammelter Maisbrei. Auf der alten Couch häuften sich Kissen und Jacken. Im Gitterbett sudelte der Jüngste vor sich hin. Er hatte keine Hose an und saß auf der nassen Matratze. Der zweijährige Bruder ließ gerade alles von sich laufen, direkt auf den Boden – bloße Erde, die wohl schon mehr aufgesogen hatte. Wo sind nur die Geburtsurkunden, murmelte Savina. Mit dem Arm schob sie allen Ramsch aus dem Schrank auf die Couch. Darin fand sie ein völlig verknittertes Plastiksackerl und zog Papiere heraus: Zeitungen, Rechnungen, Mahnungen – und tatsächlich auch Geburtsurkunden. Ich steckte die Dokumente in meine Tasche. „Sollen wir nicht ein bisschen Ordnung machen?“, fragte ich Savina. Sie begann schon, alles zurückzustopfen. „Nein, wir sortieren alles und machen sauber“, schlug ich vor. Aus der kleinen Hilfsaktion wurde ein größeres Projekt. Wir holten unsere Mitarbeiter zu Hilfe. Alles wurde ausgeräumt. Unter der Babymatratze fanden wir ein Mäusenest mit unzähligen Jungen, alte, schmutzige Kleidung war unter das Bett, hinter den Schrank, in alle Ecken gestopft, zur Wärmedämmung. Der Schrank krachte zusammen, als wir ihn sauberwischen wollten. Die einen räumten aus, die anderen verbrannten vor dem Haus den Müll, andere brachten zwei Stockbetten und ein Regal aus unserem Lager. Die Kinder fanden das lustig, die Eltern machten mit. Wir richteten eine „Küchenabteilung“ ein mit Tellern und Besteck, Bechern und einer Wasserkanne. Lebensmittel wurden herbeigeschafft, gekocht wurde draußen an einer Feuerstelle. Der Gestank, der Schmutz, die schwere körperliche Arbeit – es ging an unsere Grenzen. Spätabends brachen wir auf, erschöpft und hungrig. Hoffentlich würde die Familie die erste Nacht im sauberen Häuschen, auf weichen Matratzen genießen?
Unten im Dorf hielt uns Genica auf. Sie hatte gesehen, was wir bei „den Zigeunern“ gemacht hatten. Für sie war es unfassbar, dass wir uns dort hineingewagt hatten. Sie hatte uns Most und dicke Leberwurstbrote hergerichtet. „Das müsst ihr wohl in jedem Haus dort machen!“, ermutigte sie uns.
Der Einsatz führte unsere Leute an ihre Grenzen. Sie waren erschöpft, aber nicht so wie Abraham, der seinen Neffen und andere Geiseln in einem Kriegszug rettete. In Salem, der Stadt des Friedens, empfing Melchisedek, dessen Name „mein König der Gerechtigkeit“ auf Gott verweist, die müden Krieger. „Er brachte ihnen Brot und Wein“, damit sie sich stärken und zur Freude zurückfinden konnten. Durch den Einsatz ihres Lebens hatten andere Menschen ihre Freiheit wiedererlangt. Das musste gefeiert werden. Ähnlich gut schmeckten uns Most und Leberwurstbrote, mit denen uns eine arme Bäuerin großzügig belohnt hatte.
Wo sind die Müden und Erschöpften? Wen kann ich ermutigen – mit dem Brot der Liebe und dem Wein der Freude?