Wenn du aufbrichst, wer geht mit? Was fesselt dich, wer hält dich?
Da kam Noach heraus, er, seine Söhne, seine Frau und die Frauen seiner Söhne.
Gen 8,18
Der beste Tänzer in Hosman ist Novac. Scheu und schlaksig, doch hat er sich einmal warmgetanzt, hört er nicht mehr auf. Am schönsten ist es, wenn er mit Iova, seiner Mutter, tanzt. Sie, im eleganten Roma-Rock, führt stolz ihren hübschen Sohn. Er folgt ihrem Blick und beherrscht alle traditionellen Tänze. Unser Sozialarbeiter Florin, ein ehemaliges Straßenkind, ist ein guter Freund für den Buben. Oft brachte Florin den Tänzer mit. Auch Weihnachten feierte Novac mit uns. Er freute sich, dass er bald bei uns wohnen sollte. Seine Mutter Iova hatte schon zugestimmt.
Iova gehört zu den Frauen, die sich an die Traditionen der Roma halten. Ihr Bruder ist der Clanchef und herrscht über die Familie. Er entscheidet, kontrolliert und kassiert überall mit. Iova arbeitete einige Jahre in unserer Großküche mit und konnte mit dem Gehalt ihre Familie versorgen. Sie hat gelernt, wie man kocht, Vorräte anlegt, einen Kühlschrank benutzt, Gemüse anbaut. Die Sauberkeit hat sich auch auf ihr Zuhause übertragen. Kleidung liegt nicht ungewaschen in großen Haufen in der Ecke, sondern geordnet im Kleiderschrank. Im Garten hat sie Salat und Kraut angepflanzt, sie hält Schweine und Hühner. Es ist nicht ganz unsere Welt, aber Ioava lebt ihr Leben.
Eines Tages kam sie nicht mehr zur Arbeit und kündigte. Ihre ganze Familie war in der Nacht verprügelt worden. Ihr Bruder hatte eingegriffen, weil er nicht duldete, dass sie so selbständig wurde – und weil er ihre wohlgewachsenen Ferkel haben wollte. Als über den Vorfall Gras gewachsen war, wagte sie es, uns ihren Novac anzuvertrauen. Er sollte mit Beginn des Halbjahres wieder in die Schule eingeschrieben werden.
Nach Neujahr kam ich in das Nachbardorf. Unten am Bach sind die bunten Häuschen der Roma aufgefädelt. Laute Musik war zu hören. Festlich gekleidete Menschen tanzten vor dem Haus, offensichtlich ein großes Fest. Was ist hier los, Freunde?, fragte ich. „Hochzeit! Gestern wurde der Handel gemacht. Vierhundert Euro hat Iova für die Braut gezahlt. Novac ist der Bräutigam. Zana zieht heute zu ihm.“ Es verschlug mir die Sprache. Novac? Unser kleiner Novac? Mit Zana, die wir aufgenommen hatten, nachdem sie lange im Dorf herumgeirrt war? Sie ist erst dreizehn.
Noch am Abend wurden die beiden in ein mit bunten Girlanden geschmücktes Zimmerchen geführt. Alle warteten draußen, bis sie nach vollbrachter Tat mit dem Beweisstück herauskamen: dem blutbefleckten Leintuch. Ja, Zana war Jungfrau gewesen; das wurde jetzt bejubelt.
Was uns möglich war, hatten wir für diese jungen Leute getan. Novac und Zana waren Monate und Jahre in unserer Arche, in unserer Gemeinschaft hatten sie der Flut an Armut, Missbrauch und Verwahrlosung standgehalten und auch einiges gelernt. Doch nun wurden sie von ihrem Clan wieder aus dem geschützten Raum herausgeholt. Sie gehören zu einer uns fremden Kultur, die sie hält und hoffentlich trägt. Vielleicht ist von der Zeit in der Arche etwas geblieben. Eine Freundschaft zwischen den Welten, ein Austausch von Wertvollem bei ihnen und bei uns. Wieder habe ich gelernt, dass es selten um ein einzelnes Kind geht, sondern immer um eine Kultur, zu der wir den Zugang suchen.
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