Welchen begegne ich? Wie reagiere ich darauf?
Es kam aber eine Hungersnot über das Land.
Gen 12,10a
Neun Jahre lang fuhr ich fast wöchentlich mit dem Zug von München nach Wien, meist ab dem Hauptbahnhof von Gleis 11. Etwas versteckt und abgelegen führt dort eine Tür zu einem Raum, der durch ein kleines Schild „Bahnhofsmission“ gekennzeichnet ist. Davor wartete immer eine größere oder kleinere Menschenschlange. Ich sah sie jedes Mal und ging vorüber. Jetzt aber hat mich der biblische Vers in das Innere dieses Raumes geführt. Was treibt die Menschen zur Bahnhofsmission und wie kann diese ihnen helfen? Auf meine Bitte hin hat mir die katholische Leiterin, die seit fast dreißig Jahren dort arbeitet, als Beispiel die Situation in der Pandemie geschildert.
„Beim Blick auf die Arbeit der Bahnhofsmission München und die hungrigen Menschen, die zum Gleis 11 kommen, erinnere ich mich eindrücklich an die ersten Wochen der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020. Erschütterung und Verunsicherung, zum Teil auch Überreaktionen, Hilflosigkeit und Angst prägten diese Zeit. Sich zurückziehen und abwarten, für sich selber sorgen, sich abgrenzen und auf Abstand gehen – das war die Devise für viele. Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission waren auch in dieser Zeit den ganzen Tag, die ganze Nacht über vor Ort. Viel mehr Menschen als vor der Pandemie kamen zum Gleis 11. Sie waren verlassen und sich selbst überlassen, vergessen und nicht mit dem Nötigsten versorgt. So ging es tatsächlich darum, materielle Not und sogar Hunger zu lindern. Suppenküchen, Tagesaufenthalte hatten von einem Tag auf den anderen geschlossen. Wir veränderten unser Angebot der Stärkung (normalerweise Tee, Kaffee, Brote) und konnten aufgrund vieler Sachspenden in großem Umfang Essen, Lebensmittel, Kleidung und Hygieneartikel ausgeben. Die Nachfrage war sehr hoch. Während des ersten Lockdowns kamen bis zu 800 Menschen täglich zur Bahnhofsmission, um sich mit bloß einem Margarinebrot und einer Tasse Kaffee oder Tee zu stärken. Hunger ist mehr als ein leerer Magen – Hunger ist Mangel. Das führt in den Schmerz und macht körperlich und seelisch krank. Unvergessen die Gesichter: eine Frau aus der Ukraine mit ihren Kindern, ihr Lebensdrama spiegelt sich in ihrem Gesichtsausdruck, ich werde davon nie Details erfahren. Ein alter Mann, der regelmäßig um ein paar Scheiben trockenes Brot bittet. Ein Akademiker, der sich jetzt mit einer kleinen Rente und mit Flaschensammeln über Wasser hält. Die junge Frau, die, von der Polizei nach häuslicher Gewalt zu uns gebracht, die Nacht in unserem Schutzraum verbringt…“ Der Hunger der Menschen hat viele Gesichter, die Mitarbeitenden der Bahnhofmission sehen sie und stillen mit ihren Mitteln Hunger und Durst der Suchenden.
Für die Nomadenfamilie von Sarah und Abraham ist die Hungersnot eine große Prüfung des Vertrauens. Gott hat ihnen ein Land verheißen. Sie haben es gefunden und sogar einen Altar für dieses Geschenk errichtet. Jetzt treibt sie die Hungersnot aus diesem verheißenen Land. Sie müssen auswandern. Wer wird sie aufnehmen?