Wer hat mir geholfen, in schwierigen Beziehungen recht zu handeln?
Da sprach der Engel des HERRN zu ihr: Kehr zurück zu deiner Herrin und beuge dich unter ihrer Hand.
Gen 16,9
Es war ein intensives nächtliches Gespräch mit einem befreundeten Psychologen und Erzieher über diesen biblischen Vers. Ich erzählte ihm von der Problematik, die den nomadischen Familienverbund Sarahs und Abrahams belastete. Vom kinderlosen Ehepaar und dem Ausweg, der in ihrer Kultur durch die Magd Hagar möglich war. Von der gegenseitigen Erniedrigung, mit der sich ab da die beiden Frauen begegneten. Und von der Flucht der schwangeren Hagar aus dieser unterdrückenden Situation in die Wüste, wo sie jetzt an einem Brunnen sitzt und sich fragt, wie ihr Leben weitergehen soll. Ein Engel – in der Bibel sind das immer geisterfüllte Menschen – gibt ihr den Rat, vor der schwierigen Situation nicht zu flüchten und so sich selbst und dem in ihr wachsenden Leben eine Zukunft zu geben. Und der Freund schilderte bewegende Grenzerlebnisse und Tiefpunkte aus seiner Biographie. Aber er bat mich, diese nicht auf die Leinwand einer größeren Öffentlichkeit zu projizieren. Wichtiger war ihm, über hilfreiche Verhaltensregeln nachzudenken, die dieser Vers für seine beratende Arbeit mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen bereitstellt.
Das Wichtigste ist für ihn die Präsenz eines Engels. Und das nicht nur, weil er das Lied von ABBA „I Believe in Angels“ gerne hört, sondern weil Erlebnisse solcher Art sein Leben immer wieder ausrichteten und so zu einem wertvollen Ansatz für seine therapeutische Arbeit wurden. Die entscheidende Hilfe kommt immer von außen. Nicht von den sprichwörtlichen „guten Freunden“, sondern von Menschen, die ehrlich sind, die Wahrheit lieben und eine Ahnung von Menschenführung haben. Solche „Engel“ bewahren vor Erstarrung, Resignation, Aufgeben, Sich- Wegwerfen, bringen Licht in das Dunkel verfahrener Situationen und ermöglichen erste Schritte zum Weitergehen. Eben wie dieser Engel für Hagar. Meinem Freund gefiel es, dass dieser keine tröstenden Worte ausspricht, sondern zu konkretem Handeln rät. Ein Rat, der hart klingt und innerlichen Widerstand hervorruft. Die Magd Hagar soll sich wieder den Händen ihrer Herrin ausliefern? Sie soll zurück in ein belastendes Beziehungsnetz, zurück zum Ursprung ihres Konflikts?
Mit den Augen des Psychologen gesehen, ist das ein genialer Rat. Denn er erfordert einen Lernprozess für beide Frauen. Beide müssen Verantwortung für ihre Situation übernehmen. Die Magd Hagar ist nicht schuldlos an ihrer augenblicklichen Lage. Sie trägt die Verantwortung für das eigene Leben und für das neu wachsende in ihr. Der Rat des Engels zur Umkehr bewahrt sie vor weiterer Schuld und ist ein erster Schritt zur Versöhnung mit Sarah, indem sie diese als Herrin anerkennt. Sarah wiederum wird durch die Rückkehr Hagars von Schuld befreit und zu verändertem Handeln ihr gegenüber gerufen. Mit ihrer Hand soll sie nicht zuschlagen, sondern sie schützend über die Magd halten. Eine Aufgabe, die alle „Hochgestellten“ gegenüber den ihnen „Unterstellten“ haben. Der Rat des Engels bedeutet neues Leben für den gesamten Familienverbund. Gedanken eines Psychologen zu einem biblischen Vers.
Wer hat mir geholfen, in schwierigen Beziehungen recht zu handeln?