In welche Milieus und Welten wurde ich geführt, um Menschen, Lebensformen, Kulturen besser verstehen und schätzen zu lernen?
Abram zog durch das Land bis zur Stätte von Sichem, bis zur Orakeleiche. Die Kanaaniter waren damals im Land.
Gen 12,6
Unter den spirituellen Lehrern der jüdischen Frömmigkeitsbewegung des Chassidismus fällt der Rabbi Simcha Bunam von Przysucha durch eine Besonderheit auf. Als Angestellter einer Holzverarbeitungsfirma in Leipzig ist er viel unterwegs. Er meidet auf seinen Geschäftsreisen weder Gasthäuser noch Theater, weder Spielhallen noch Vergnügungsstätten. Im Gegenteil, die Begegnungen dort prägen sein Menschenbild. Er sieht die Sehnsucht der Menschen nach Gemeinschaft, Liebe, Genuss und Vergnügen. Aber auch die damit verbundenen Gefahren, Irrwege, Täuschungen, Enttäuschungen. Beides kennt er selbst, Sehnsüchte wie Irrwege. Diese Identifikation mit den Menschen, die Erkenntnis, „wie es mit dem Sündigen zugeht“, wird zum Schlüssel seines beratenden und aufrichtenden Wirkens. Martin Buber hat dazu in seinen Chassidischen Geschichten eine sehr schöne Begebenheit festgehalten.
Ein Holzhändler auf dem Land bat Rabbi Bunam, seinen Sohn nach Danzig mitzunehmen, wo dieser einen Handel abwickeln sollte, und auf den Jüngling achtzugeben. An einem Abend aber kam der nicht in die gemeinsame Herberge. Der Rabbi, im Wissen um die Wünsche des jungen Mannes, steuerte geradeaus ein Haus an, aus dem Klavierspiel und Gesang erscholl, ein Dirnenhaus. Als er eintrat, sah er, wie der Sohn aus dem Saal in das Innere des Hauses ging. Da bat Rabbi Bunam die Sängerin, schnell ihr schönstes Liebeslied anzustimmen. „Sie sang, die innere Tür ging sogleich wieder auf, und der Jüngling kam zurück. Rabbi Bunam ging auf ihn zu. ,Ach da bist du‘, sagte er mit gelassener Stimme, ,man hat nach dir gefragt, komm doch gleich mit‘. In der Herberge angelangt, spielten sie eine Weile Karten, dann gingen sie zur Ruhe. Am nächsten Abend besuchte er mit ihm ein Theater. Als sie aber heimkamen, hob Rabbi Bunam an, Psalmen zu sprechen und sprach sie mit großer Macht, bis er den Jüngling aus allen Kräften der Stofflichkeit zog und der zur vollkommenen Umkehr gelangte.“ Ein einfühlsamer Therapeut, zuhause in jedem Milieu, auch in der fremden Welt der Sünde.
Die Großfamilie um Sarah und Abraham wagte den Aufbruch zur Suche nach einem neuen Lebensraum. Nach einer langen Wanderschaft als Nomaden – von Haran bis Sichem sind es über achthundert Kilometer – kommt es auf der Ebene zwischen den Bergen Garizim und Ebal zu einer ersten Begegnung mit einer fremden Bevölkerung und Kultur. Es ist der Lebensraum der Kanaaniter. Abraham und den Seinen fallen besonders deren Ortsgebundenheit und Sesshaftigkeit ins Auge, die Verehrung von besonderen Bäumen, von denen sie wegweisende spirituelle und landschaftliche Orientierung erhoffen, und deren Gastfreundschaft. Dinge, die für sie auf der Suche nach einem neuen Lebensraum entscheidend werden: Sesshaftigkeit, Religion und Gastfreundschaft.
In welche Milieus und Welten wurde ich geführt, um Menschen, Lebensformen, Kulturen besser verstehen und schätzen zu lernen?