Wann erhebe ich meine Hände?
Abram entgegnete dem König von Sodom: Ich erhebe meine Hand zum HERRN, dem Höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde.
Gen 14,22
Noch ein Wort, und ich explodiere!, dachte ich wütend. Doch ich bemühte mich, Ruhe zu bewahren, weil es besser war für beide Seiten. Florin kann einen zur Weißglut bringen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat und nicht abweicht von seiner Idee. Nach einer Pause ist er meist wieder bereit zum Gespräch, offen für einen Kompromiss. Das ist manchmal sehr anstrengend. Doch wenn ich daran denke, durch welche Höllen Florin gegangen ist, gestehe ich es ihm zu – und schweige, warte, bis er sich gefangen hat. Von den Eltern als Kind in ein Heim geschickt, hat er nie die Liebe der Mutter gespürt. Der Vater war entweder nicht zuhause oder betrunken. Die Geschwister hatten gelernt, sich durchzuschlagen, auf jede nur mögliche Weise. Der zarte, kleine Florin wurde im Heim zur Zeit von Ceaușescu geschlagen, nicht nur vom Aufseher, sondern auch von den größeren Kindern. Lange hielt er es nicht aus, er lief weg und versuchte auf der Straße zu überleben. Alles war besser als im Heim. Dann kam er über einen Freund am Bahnhof in Bukarest ins Sozialzentrum Lazarus. „Geh dort hin, da kannst du schlafen und bekommst zu essen“, empfahl ihm der Bub. Florin war nie in der Schule, dazu war keine Zeit, er fragte sich, wozu das gut sein solle. Denn nichts davon konnte ihm helfen, den täglichen Überlebenskampf zu bestehen.
Heute sitzt ein gut genährter Florin im Kreis von Freunden aus Österreich, die uns besuchen, um unsere Arbeit kennenzulernen. Er berichtet von seinem schweren Leben und von seiner Arbeit. Er ist ein hervorragender Sozialarbeiter geworden, in allen Hütten im Dorf hat er Zugang. Die Kinder sitzen bei ihm, rennen ihm nach. Er weiß, was den Kindern fehlt, und was er ihnen geben kann. Florin erzählt, wie er zum ersten Mal in der Bukarester Kapelle von Gott gehört, wie er beten gelernt hat. Um das Evangelium lesen zu können, hat er lesen gelernt. Heute ist er derjenige, der den Kindern am besten die Bibel erklären kann, seine Predigten sind lang, aber die Kinder hängen an seinen Lippen. Florin berichtet, wie er Schlagzeugunterricht nahm. Dann hat er Beatbox gelernt, weil er keine Instrumente hatte. Alle nennen ihn Beatbox, auch jetzt gibt er eine kleine Kostprobe. Die Gäste staunen. Ein bisschen kann Florin Deutsch, was nicht geht, versucht er auf Englisch zu formulieren. Das Restliche übersetze ich. Die Besucher bewundern Florin und fragen ihn: „Wie hast du das geschafft? Wie konntest du so viel lernen?“ Florin schluckt, dann bricht er in Tränen aus. Es wird still, keiner weiß, was los ist. Hat ihn die Frage gekränkt? Er wischt sich die Augen, fasst sich wieder. „Das habe ich nur Gott zu verdanken.“ Und dem Pater, fügt er hinzu.
Florin macht es Abram nach, der dem besiegten König von Salem antwortete: „Ich erhebe meine Hand zum HERRN, dem Höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde.“
In Siegeslaune, als er die Beute hatte, als er gefeiert wurde, erkannte Abram, wer da wirklich am Werk gewesen war. Wem er alles zu verdanken hatte.
Lassen mich Erfolge die Hände erheben oder sehe ich nur meine Leistung? Not lehrt beten, lehrt auch Erfolg beten?