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Kinder, die alle durcheinanderbringen

Wo wurdest du auf Umwege geführt, die dich an ein größeres Ziel gebracht haben?

Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als Hagar Ismael dem Abram gebar.
Gen 16,16

Da ist eine, die solltet ihr aufnehmen, sagten uns Frauen aus dem Dorf. Wir waren kurz vor der Fertigstellung einer Siedlung für elf Familien, die unter unmenschlichen Bedingungen lebten. Jetzt kämpften alle im Dorf darum, ein Haus zu bekommen, um endlich eine winterfeste Unterkunft zu haben. Doch für Viorica standen alle zurück. Sie sollte ins Dorf ziehen, mit ihren Kindern, damit diese in die Schule gehen könnten und nicht mehr wie die Tiere leben müssten. Viorica lebte mit ihrem Mann und den Kindern weit draußen bei einer großen Schafherde. Den Tieren ging es tatsächlich besser als den Kindern.
Viorica zog glücklich ein. Sie war sehr fleißig, hielt ihr Haus sauber und pflanzte Blumen in dem kleinen Garten. Sie arbeitete im Sozialzentrum mit. Auch hier stach sie mit ihrem Fleiß hervor. Ionel, ihr um Jahre jüngerer Mann, war ebenfalls voll Eifer. Seinen Kindern sollte es einmal besser gehen, dafür setzte er sich ein. Er hatte viele Pläne, damit er nicht mehr ein schlecht bezahlter Hirte, sondern sein eigener Herr würde. Geanina, die älteste Tochter, war eine Freude. Sie holte in der Schule auf und machte in der Tanzgruppe mit. Wir begleiteten die Familie immer intensiver und hatten gleichzeitig große Erwartungen an sie. Viorica bekam eine größere Verantwortung, Ionel wurde in der Landwirtschaft eingesetzt, Geanina half bei einer Kindergruppe.
Dann begannen die Probleme. Ionel hatte keine Zeit mehr für uns, er war nicht zuverlässig, und so beendeten wir die Zusammenarbeit. Kurz darauf eröffnete uns Viorica, die nicht mehr die Jüngste war, dass sie überfordert sei: Sie war schwanger. Gianina sagte, sie wolle der Mama helfen, die jetzt viel liegen musste. Alle waren wieder weg, auf einen Schlag.
Eines Tages hörten wir vom Skandal: Ionel hatte eine junge minderjährige Freundin, obwohl er gerade Vater wurde. Und diese würde ein Kind erwarten. Zu wem würde Ionel nun gehen? Alle drei hatten keine Arbeit und kein Einkommen, die Familie war zerbrochen. Wenn wir sie aufsuchten, versperrte Viorica die Tür. Und Geanina tauchte unter, weil ihr alles peinlich war.
Nach drei Jahren kam Vioricas kleiner Bub in die Kinderkrippe, und sie wollte wieder arbeiten gehen. Sie traute sich nicht zu uns, aber der Zufall wollte es, dass sie vor dem Sozialzentrum die Leiterin traf. Dann fasste sie Mut und fragte, ob es Arbeit für sie gäbe. Immer!, sagte die Leiterin. Sie könne morgen beginnen. Pünktlich stand sie am Morgen vor der Türe. „Mit Ionel bin ich in Frieden, aber er wohnt nicht mehr bei uns, es war zu verrückt“, erzählte sie. Eines Tages brachte sie Geanina mit, die nun wieder bei den Kindern mithilft. Wir sind sehr froh um die guten Mitarbeiterinnen, sie sind unglaublich fleißig. Nach den vielen Umwegen sind wir wieder zusammen. Wider Erwarten.

Kinder von zwei verschiedenen Frauen, die fast zur gleichen Zeit geboren werden: Das erinnerte mich an die Abram-Geschichte. Die Misshandlung der Frau, das bedrohte Leben der Kinder, was wird aus ihnen werden? Kann da ein göttlicher Plan dahinter sein? Ich weiß nicht, wohin Ionel verschwunden ist. Aber über eines staune ich: wie lebenstüchtig seine verstoßene Frau ist. Sie und ihre große Tochter zählen zu den stärksten Mitarbeiterinnen bei ELIJAH. Mit manch Schwierigen können nur sie umgehen. Und das scheinbar mit Leichtigkeit, die sie über die grausamen Umwege, die ihr Leben ihnen zumutete, gewonnen haben.