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Mutprobe

Wenn wirklich etwas auf dem Spiel steht, teilt sich die Spreu vom Weizen.

Als er nach dem Sieg über Kedor-Laomer und die mit ihm verbündeten Könige zurückkam, zog ihm der König von Sodom ins Schawetal entgegen, das jetzt Tal des Königs heißt.
Gen 14,17

Verbotene Orte ziehen an. Vor allem Schüler. Das große, flache Dach der Sporthalle am Canisius Kolleg SJ in Berlin ist ein solcher Ort. Unter den Jugendlichen ist seine Eroberung eine beliebte Mutprobe, vor allem dann, wenn vorher im benachbarten Tiergarten gefeiert wurde. Eine kleine After-Party auf dem Dach stört doch niemanden.
Blöd nur, wenn gleichzeitig in den angrenzenden Jugendräumen der Ignatianischen Schülergemeinschaft [ISG] ein Übernachtungswochenende für 80 Kinder stattfindet. Das haben die Eindringlinge vergessen. Denn sie wussten es. Manche von ihnen haben in der ISG Ämter inne. Sie sind Gruppenleiter oder Mitglieder der Stadtgruppenleitung [SGL]. Also jenem Gremium, das die ISG nach außen und innen repräsentiert und auf die Einhaltung der Hausordnen achtet. Aber nach Mitternacht juckt das kaum einen, zu anziehend ist die Mutprobe. Also zwei Hüpfer über den hohen Zaun, dann über die Türklinke des WC Eingangs auf das Vordach, schließlich ein kleiner Klimmzug und schon blickt man über das Schulgelände und die Baumkronen. Leise wird Musik angemacht und noch ein weiteres Bier genossen. Die erste Mutprobe war genommen. Aber wer traut sich nun über den Schulhof bis zum Notausgang zu laufen? Die zweite Mutprobe ist manchen zu heiß. Vielleicht werden sie von den anderen Leitern bemerkt, die gerade auf die übernachtenden Kinder aufpassen. Egal, ein Versuch ist es wert. Die Aufregung wird größer, ebenso die Lautstärke. Erste Lichter in den Zimmern der Kinder gehen an. Verschlafene Gesichter erscheinen in den Fenstern. Wer ist da?! Aufregung unter den Kindern, ihre Leiter laufen aus dem Haus, sehen ihre betrunkenen Freunde. Schließlich kommt der hauptverantwortliche Jesuit und begleitet die Eindringlinge vom Gelände.
Der nächste Tag verläuft ruhig. Zu ruhig. Keine Entschuldigung. Kopf in den Sand. Verleugnung. Wir waren das nicht. Wie dämlich?! Über verschiedene Kanäle wird die Ermutigung verbreitet, sich besser in den nächsten 24 Stunden zu stellen und Verantwortung zu übernehmen, bevor der Leiter der ISG die Aufklärungsarbeit beginnt. Wenig später erhält dieser eine kryptische Textnachricht von einem der Eindringlinge, der Gruppenleiter und Mitglieder der SGL ist. Er will klarstellen, dass er nicht auf dem Schulhof war und die Kinder geweckt habe. Dass er auf dem Sporthallendach war, dort gefeiert und die anderen nicht von ihren Absichten abgehalten hat, verschweigt er verstohlen. Geschickt will er sich aus der Verantwortung stehlen. Ganz anders die Nachricht von Leila. In jedem Wort ist ihre Scham über ihr Verhalten spürbar und sie ist bereit, als SGLerin die Verantwortung zu übernehmen. Jeder weiß, wie viel ihr dieses Amt bedeutet. Es könnte für das Wohl der Gemeinschaft die Aufgabe dessen bedeuten. Schließlich kommt sie am Montag selbst in das Büro des Leiters und sucht das Gespräch mit ihm. Verantwortungsbewusst hat sie die dritte Mutprobe genommen.

Der König von Sodom ist geschlagen. Sein Versuch, nach der Macht zu greifen, ist missglückt. Anstatt die Flucht zu ergreifen, oder Gesandte vorauszusenden, macht er sich selbst auf den Weg, um dem Sieger entgegenzutreten. Er könnte alles verlieren, bis hin zu seinem Leben. In diesem mutigen Aufbruch lebt er die Verantwortung seines Amtes. Nicht alles scheint in Sodom verloren zu sein.