Zum Inhalt springen

Perfekte Humilitas

Mitten in Licht und Schatten sucht Gott Gemeinschaft

Weiter sprach der Engel des HERRN zu ihr: Siehe, du bist schwanger, du wirst einen Sohn gebären und du sollst ihm den Namen Ismael – Gott hört – geben, denn der HERR hat dich in deinem Leid gehört.
Gen 16,11

„Ich bin ein Sünder.“ Mit diesen Worten beschrieb sich Papst Franziskus kurz nach seiner Wahl auf die Frage „Wer ist Jorge Bergoglio?“ Diese Antwort blieb nicht die letzte, mit der der Papst überrascht. Aber warum verwundert sein Bekenntnis zum Sünder? Muss der Papst perfekt sein? Würde das nicht unserem Urverständnis eines Christen widersprechen? In seiner Antwort schwingt seine tiefe jesuitische Prägung mit. Denn wir Jesuiten antworten auf die Frage: „Was heißt Jesuit sein?“ mit den Worten: „Erfahren, dass man als Sünder trotzdem zum Gefährten Jesu berufen ist.“ Diese Selbsterkenntnis hilft der persönlichen Erdung, der Humilitas. Denn die Urversuchung ist die eigene Vergötzung, die persönliche Unersetzlichkeit und Erhöhung. Ein Ausdruck davon ist der Drang nach Perfektionismus. Wer perfekt ist, macht sich unabhängig und unabdingbar. Man wird für Gottes Wort taub.
Von vielen jungen Erwachsenen, die eine mögliche geistliche Berufung spüren, höre ich Zweifel, ob sie dafür geeignet wären. Sie fragen sich, ob sie perfekt genug sind für diesen Dienst? Mich selbst beschäftigten ähnliche Selbstzweifel in meiner Berufungsgeschichte. Und auch heute begegnen mir Erwartungen, die ich nur enttäuschen kann. Woher kommt diese Erhöhung des Priesters?

Die biblischen Erzählungen verschweigen nicht die Ecken und Kanten ihrer Helden. Niemand wird hier glattgebügelt. Ein Blick in den Stammbaum Jesu verrät eine Familiengeschichte mit Licht und Schatten. Allein schon Abraham und Sarai glänzen nicht durch ihre Perfektion und doch gelten sie als die Eltern des Glaubens. Ihr Handeln drängt die schwangere Hagar in die Wüste. Die unfruchtbare Sarai fürchtet um ihre Stellung. Ihr eigener Plan zur Sicherung der Nachkommenschaft droht sie ihren Platz zu kosten. Die einzige Lösung scheint eine klare Trennung zu sein und Hagar in die Wüste zu schicken. Statt Mitleid trifft die Sklavin der bittere Neid ihrer Herrin.
Die Wendung geschieht durch Gottes Eingreifen. Hagars Leid dringt bis an sein Ohr. Er ergreift Partei und verbindet sich durch die Namensgebung mit dem unerwünschten Kind: Ismael, Gott hört. Dadurch erhebt er die Sklavin zu seiner Leibeigenen. Wer ihr nahetritt, tritt auch ihm nahe. Und wer ihrem Kind nahetritt, tritt auch Gott nahe. Mit diesem Zuspruch kann sich Hagar wieder in die bestehende Rechtsordnung eingliedern. Gestärkt kehrt sie um, denn sie hat erfahren, dass Gott mit ihr ist, obwohl sie nur eine ägyptische Sklavin ist.

Diese Grunderfahrung prägt auch Papst Franziskus. Er weiß sich trotz seiner Fehler in die Gemeinschaft mit Gott berufen, die ihm durch Jesus eröffnet wird. Dieser Zimmermannssohn bricht mit seinem Verhalten immer wieder die bestehenden Erwartungen an den perfekten Messias. Er sucht nicht die Gesellschaft der Gesunden, sondern der Kranken, der Ausgestoßenen, der Sünder. Er hört ihr Leid und lässt sich berühren. Geltende Verhaltensweisen, die ihn von den Leidenden trennen, lehnt er ab. Damit heiligt er nicht die Sünde an sich, sondern heilt den Sünder von deren isolierenden Kraft.
Mit seinen Gesten und Worten enttäuscht Papst Franziskus immer wieder auf ihn projizierte Idealisierungen. Er begeht Fehler. Kaum ein Papst in jüngerer Zeit musste sich solch harscher Kritik stellen. Sie zuzulassen braucht Humilitas statt Perfektionismus, wie sie in den biblischen Geschichten erzählt werden.