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Wenn alles zerstört ist

Der Tod eines Werkes, der Tod in Beziehungen, der Tod von Menschen und Tieren – er ist eine Realität. Woher kommt Trost? Wo zeigt sich ein Neubeginn?

Da fanden alle Wesen aus Fleisch, die sich auf der Erde geregt hatten, den Tod, Vögel, Vieh und sonstige Tiere, alles, wovon die Erde gewimmelt hatte, und auch alle Menschen.
Gen 7,21

 

Eine Romasiedlung am Rand des Dorfes, abgeschnitten von der Welt. Kein öffentliches Verkehrsmittel führt dorthin, auch kein befestigter Weg. Wasser und Kanalisation sind seit Jahren ein Projekt der Gemeinde, das nicht fertig wird. Auch der Dorfbrunnen ist versiegt. Viele Leute haben keine Arbeit, die meisten Kinder gehen nicht zur Schule. Trostlos, keine Perspektiven. Von all dem ließ sich Ana nicht abschrecken, im Gegenteil, sie sah darin ihre große Aufgabe. Sie zog mit ihrem Mann in das verwahrloste Dorf und übernahm unser Sozialzentrum. Die Kinder kamen zum Spielen, gingen in die Schule, die Mütter bekamen Hilfe. Ein neuer Brunnen gab Wasser zum Waschen und Trinken. Kleider wurden verteilt. Es war Leben in Haus und Hof. Einige von den Jungen ließen sich von Ana anstecken. Ionut mähte mit der Sichel das Gras für sein Pferd, Lidia wurde als Helferin angestellt, sie kochte und putzte. Ana kannte jede Familie und jedes Kind mit Namen. Vertrauen wuchs im Sozialzentrum.
Trotzdem kam das Dorf nicht zur Ruhe. Wilde Streitereien, Schlägereien, Intrigen waren zu bewältigen. Die Zerstörung griff auch auf unser Haus über, das so hoffnungsvoll begonnen hatte. Das Tor wurde in der Nacht aufgebrochen, kurz darauf das Holzlager geplündert. Ein Nachbar drohte mit Anzeige, weil der Zaun elf Zentimeter weit in sein Grundstück ragte. Gab es einen Grund für so viel Bosheit? Lidia, die Helferin, meinte, es sei kein Wunder, dass das ganze Dorf gegen uns sei. Man habe Ana, ihre Chefin, mit Daniel ertappt. Und das gehe nun wirklich nicht, er sei noch nicht einmal volljährig. Unmoralisch! Mir fuhr der Schreck in die Glieder. Unsere Mitarbeiterin, Ana, verheiratet, hat ein Verhältnis mit einem Buben? Andererseits, hier, wo die Kinder ab dreizehn Jahren schon verheiratet werden, wo Väter und Brüder die Mädchen missbrauchen, und keiner aufschreit – warum dieser Skandal, wenn ein Siebzehnjähriger eine Freundin hat? Ana beteuerte, dass sie keine Beziehung mit Daniel habe. Daniel, ein selbstbewusster junger Mann, lachte: „Ich werde doch nicht mit einer Oma …!“ Es stellte sich heraus, dass Lidia das Gerücht in die Welt gesetzt hatte, weil sie gekränkt war. Ana hatte sie zurechtgewiesen, weil das Geschirr nicht sauber und das Essen schlecht geworden war. Daraufhin hetzte Lidia die Bewohner auf und verdarb endgültig die Aufbruchsstimmung. Ana konnte nichts mehr tun. Sie arbeitet jetzt in einem anderen Sozialzentrum. Das Dorf ist verwaist. Die Kinder rütteln am Tor des Zentrums. Wann hat wieder jemand die Kraft, zu ihnen zu gehen?

Bosheit hat die Beziehungen vergiftet und ein Werk zerstört. Die Kinder hatten keinen Raum mehr, in dem sie Schutz fanden, wo sie sich wärmen und lernen konnten. Es gab nichts mehr zu essen, auch nicht für die Katzen und Hunde, die an der Küchentüre die Abfälle bekamen. Die Tiere gehörten zur Gemeinschaft. Was konnten wir noch tun? Eine Zeit unheimlicher Ruhe war angebrochen.

Der Tod eines Werkes, der Tod in Beziehungen, der Tod von Menschen und Tieren – er ist eine Realität. Woher kommt Trost? Wo zeigt sich ein Neubeginn?

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