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Wo ist dein Papa heute?

Wie öffnest du das Herz eines belasteten Menschen?

Er sprach: Hagar, Sklavin Sarais, woher kommst du und wohin gehst du? Sie sagte: Vor Sarai, meiner Herrin, bin ich davongelaufen.
Gen 16,8

Einer der Wildesten unter den Straßenkindern am Bukarester Bahnhof war Costel. Er war ziemlich klein, hatte aber mehr Widerstandskraft als die anderen aus der Bande. Wenn sie im Drogenrausch vor sich hintaumelten und irgendwo niedersanken, kämpfte er. Nie hatte ich ihn nüchtern erlebt, und wenn er wieder einmal Lack geschnüffelt hatte, konnte man mit ihm nicht reden. Streit, Prügeleien, Polizeieinsätze waren an der Tagesordnung. Und jetzt hörte ich, dass er von Bukarest nach Sibiu auf dem Weg zu uns war. Er saß mit Moise im Zug, beide stockbetrunken und rauchend, obwohl das verboten ist.
Mein ewiger Schützling Moise – selbst abgestürzt und in Bukarest gelandet – kam also wieder zurück und brachte Costel mit. Wie sollte das gehen, mit zwei Drogensüchtigen, die sich gegenseitig hinunterzogen? Als sie in den Hof kamen, verschwanden sie schnell in Moises Zimmer, damit niemand sie sehen und riechen konnte. Nach einer Stunde kamen sie sauber, frisch rasiert und geschniegelt heraus, nüchtern, wie wir erstaunt bemerkten. Wie lange würde das dauern? Costel versprach, er trinke ab jetzt nichts mehr, er wolle ein neues Leben anfangen. Natürlich mussten wir ein wenig nachhelfen, damit er sich in die Gemeinschaft einfügte, mit Besteck statt mit den Fingern aß, ein Taschentuch statt das Hemd zum Schnäuzen nahm.
Am Samstag wollten wir eine Wanderung mit allen aus dem Haus machen. Zwanzig Kilometer weit, schlug ich vor. Fünfundzwanzig, dreißig, fünfzig, pokerte Costel. Wir zogen los, in den Rucksäcken etwas Proviant. Die junge Truppe eilte dahin, immer weiter, es herrschte eine wunderbare Stimmung. Zu Mittag fanden wir auf einem grünen Hügel einen schönen Platz und packten die Brote aus. Paula war den ganzen Weg mit Costel gegangen, auch jetzt saßen sie nebeneinander. Neugierig fragte sie nach seinen Abenteuern auf der Straße. Er hörte nicht auf zu erzählen, von seiner Kindheit, vom Heim, von den Eltern, die ihn als Baby weggegeben hatten. Nie hatte er Ruhe oder eine Heimat gefunden. Paula, die selbst keine leichte Kindheit hatte, wollte immer mehr wissen: Wo ist dein Papa heute, und deine Stiefmutter? Der Vater war im Gefängnis, weil er die Stiefmutter mit fünfzehn Messerstichen ermordet hatte, aus Eifersucht. Costel war geholt worden, um sie zu identifizieren. Sie hatten das weiße Tuch angehoben, um ihm den Leichnam zu zeigen. „Der hatte nicht nur zugestochen, sondern richtig umgerührt im Fleisch!“ Costel sagte dann noch, er sei kein Mensch, der weine.

Im Stillen fragte ich mich wie der Engel, den Gott zur verstoßenen Sklavin Hagar sandte: Costel, wohin gehst du? Paula aber hatte wie eine Therapeutin gefragt, die nicht von sich spricht, sondern im Namen eines Größeren, die das Heil der Patientin sucht. Auch der Ort war ideal, um das Herz zu öffnen: im Grünen, im Freien, an einem Ruheplatz am Wasser wie bei Hagar im Orient. Der Bote Gottes hatte die Flüchtende mit Namen angesprochen und ihr eine Frage gestellt, die mehr als eine Frage war. Da öffnete sie den Mund, so wie Costel Paula seine Erfahrungen anvertraute. Bei ihr konnte er sein Herz ausschütten und auch das Schwere sagen.

Wie öffnest du das Herz eines belasteten Menschen?