Lernen aus überraschenden Einsichten
Da rief Pharao Abram und sagte: Was hast du da mir angetan? Warum hast du mir nicht kundgetan, dass sie deine Frau ist?
Gen 12,18
Auf die Szene zwischen Pharao und Abraham angesprochen, die in unserem Bibelzitat geschildert wird, hatten etliche, die ich fragte, ein Erlebnis aus ihrem eigenen Leben zu erzählen. Ich bekam schöne Geschichten zu hören, die ich weitergeben möchte.
Eine Lehrerin: „Es war während eines zehntägigen Heilfastens. Das Haus, gelegen in einer wunderschönen, von Bergen umgebenen Landschaft, alles aus Holz gebaut, Wärme und Ruhe ausstrahlend. Das Team der Ärztinnen und Therapeutinnen für fachkundige Begleitung, Behandlungen, Kneipp-Güsse und Massagen kompetent, freundlich, aufmerksam. Die Ernährung spartanisch, auf Flüssigkeitszufuhr ausgerichtet, Tees und Suppen von höchster Qualität. Der Therapeut, der mir für meine Behandlungen zugeteilt wurde, ein sehr freundlicher, aber schweigsamer Mann. Seine Anweisungen kurz und trocken, keine überflüssigen Erklärungen, kein Wort zu viel. Selbst bei den Massagen, in dieser körperlich doch sehr großen Nähe, wortkarg, die Handgriffe fast mechanisch. Er wirkte irgendwie distanziert, bemühte sich nicht um eine angenehme Atmosphäre. Da ich selber eher kommunikationsstark, gesprächig und kontaktfreudig bin, war ich zunächst etwas enttäuscht, ja ich begann mich zu ärgern. Was war denn der Grund für sein eigenartiges Verhalten? Bei einem Abendessen kam ich mit einer anderen ,Mitfasterin‘ ins Gespräch, die schon öfter in diesem Haus Gast gewesen war. Ich deutete ihr an, dass mein Therapeut doch außergewöhnlich schweigsam sei. Da antwortete sie mir: ,Du musst wissen, dass er Autist ist.`Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Jetzt begann ich mich über mich zu ärgern. Da ich selber an einer nicht sichtbaren chronischen Krankheit leide, erlebe ich oft Unverständnis, Hilflosigkeit und Überforderung anderer. Jetzt, da sich die Rollen vertauscht hatten, war ich die schwer Begreifende, wenig Einfühlsame, Überforderte. Ich wunderte mich, dass ich für einen solchen Perspektivenwechsel so lange gebraucht hatte. Ein herausfordernder Lernprozess für mich.“
Ein Erzieher (Transgender): „Auf deine Frage hin ist mir eine Szene aus der Jugendzeit eingefallen, die eng mit meiner jetzigen Lebenssituation zusammenhängt. Als Fünfzehnjährige war ich einmal mit meiner jüngeren Schwester im Schwimmbad. Als wir in die Frauendusche gingen, war dort eine eher männlich aussehende Person. Ich war irritiert, meine Schwester echauffiert. In ihrer direkten Art begann sie lautstark ihren Unmut über diese Person zu äußern. Mir war das irgendwie unangenehm, ich war hilflos, habe nicht beruhigend auf meine Schwester eingewirkt und zugleich ihn geschützt. Da ich selbst früher, als ich noch einen weiblichen Körper hatte, der jedoch damals schon recht burschikos wirkte, häufig auf unangenehme und aggressive Weise der Frauentoilette verwiesen wurde, kenne ich auch die andere Seite. Häufig dachte ich mir: Wenn die Menschen nur wüssten, dass …“
Lernen aus überraschenden Einsichten.